Vortrag von Sabine Zahn im Adolfinum anlässlich eines Schulprojektes beim Zahn´schen Familientag 2012

 

Zunächst möchte ich mich im Namen der Familie Zahn ganz herzlich beim Adolfinum für diese Feier bedanken. Dabei gilt mein besonderer Dank Herrn van Stephoudt, dem Direktor des Adolfinums, der tatkräftig und kreativ die Initiative ergriffen, ein Schulprojekt entwickelt und uns hierher eingeladen hat. Sehr bedanken möchte ich mich aber auch bei den Schülern und den Lehrern des Adolfinums, die das Programm dieses Nachmittags gestalten.

Das Treffen der Familie Zahn in Moers an diesem Wochenende gab mir Anlass, mit dem Adolfinum in Verbindung zu treten. Hier wirkte Dr. Johannes Zahn, mein Urgroßvater und direkter Vorfahre der meisten unserer hier anwesenden Familienmitglieder. Johannes Zahn war 30 Jahre lang Direktor des Adolfiums, von 1870 bis 1900.

Schule gestern – Schule heute heißt diese Veranstaltung, wobei ich etwas über Schule gestern erzählen möchte in Zusammenhang mit dem Leben und Wirken von Johannes Zahn.

Wer war Johannes Zahn?

Er wurde 1828 als ältester Sohn des Pädagogen Franz Ludwig Zahn und seiner Frau Anna, geborene Schlatter, in Dresden geboren und kam 1832 nach Moers, weil sein Vater die Leitung der evangelischen Lehrerbildungsanstalt als Nachfolger ihres Gründers, Adolf Diesterweg, übernommen hatte.

Die Familie Zahn blieb fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch in Moers und prägte auch die Geschichte der Stadt auf vielfältige Weise.

Johannes Zahn bestand 1845 das Abitur, war also auch ein sog. G8ter. Er studierte zunächst in Bonn, dann in Berlin Theologie und Altphilologie, entschied sich 1848 endgültig für die Philologie und schloss sein Studium ab.

Bis 1865, also 17 Jahre lang, unterrichtete er an der Erziehungsanstalt seines Vaters Franz Ludwig Zahn in Moers. Daneben promovierte er 1857 über den griechischen Grammatiker Aristonico und legte 1857 das große Staatsexamen der Oberlehrerprüfung in Bonn ab.

1859 heiratete er Laura Wintgens, die Tochter des Fabrikanten Heinrich Wintgens, der damals mit seiner Familie das Moerser Schloss bewohnte. Mit ihr hatte Johannes Zahn 10 Kinder, 4 Söhne und 6 Töchter, wovon 2 Söhne und eine Tochter im Kindesalter starben und eine weitere Tochter beim Schlittschuhlaufen in den Schlossgraben einbrach und ertrank.

1865 wurde Johannes Zahn Oberlehrer am Gymnasium in Barmen, 1870 kehrte er als Direktor des Adolfinums nach Moers zurück. Diese Funktion übte er bis 1900 aus und ging dann als 72jähriger in den Ruhestand. Im letzten Lebensjahr zog er nach Düsseldorf, wo er 1905 an einem Schlaganfall starb.

Soweit seine wichtigsten Lebensstationen.

Um seine Leistungen für das Adolfinum zu bewerten, muss man wissen, dass die Schule damals eine eigenständige, von der Stadt Moers lediglich gering bezuschusste Einrichtung war. Der Direktor, unterstützt von einem Scholariat – das war eine Art Kuratorium, welches aus ihm und vier weitern Honoratioren bestand – bestimmten Programm und Profil der Schule. Dieses umfasste damals auch die Entscheidung über den Fächerkanon, die Lehrinhalte, die Prüfungsordnung, die Einstellung von Lehrern, die Aufnahme der Schüler, die Schulregeln, die sich auch auf das Leben der Schüler außerhalb der Schule bezogen und die ethisch – religiösen Grundsätze und Praktiken.

Der Direktor war auch für die Finanzierung verantwortlich, die damals neben dem recht geringen städtischen Zuschuss weitgehend durch Spenden der Moerser Bürger und vor allem der ehemaligen Schüler gewährleistet wurde.

Die Schule war insbesondere wegen der existentiell wichtigen Außenwirkung auf ihren Ruf angewiesen und auf auswärtige Schüler, die eigens wegen des Adolfinums nach Moers kamen, denn Moers hatte damals nur 3.500 bis 4.000 Einwohner insgesamt und konnte ein eigenes Gymnasium weder mit einer ausreichenden Zahl von Schülern füllen noch konnte es sich ein Gymnasium leisten.

Der Schuldirektor war Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und vertrat im politischen Raum und auch gegenüber den Preußischen Aufsichtsbehörden und dem Schulministerium in Berlin die Belange seiner Schule. Johannes Zahn wurde von den Bürgern der Stadt Moers wegen seiner markanten und geistreichen öffentlichen Äußerungen geradezu verehrt und erreichte so auch eine recht große Spendenbereitschaft für das Adolfinum in der Bevölkerung. Auch in anderen politischen Bereichen wurde er aktiv. Nach Berlin entsandt, um für die Stadt Moers zu verhandeln, gelang es ihm gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister, den Anschluss von Moers an das Eisenbahnnetz durchzusetzen. In der Folge erhielt Moers seine erste Bahnstrecke nach Krefeld, damals ein überaus wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Doch zurück zur Schule: im Adolfinum gab es also eine weitgehende Selbstverwaltung, die es erlaubte, dass sich die Schule höchst eigenständig entwickelte und durch ihr besonderes Profil und ihr hohes Niveau überregional bekannt und sehr bewundert wurde.

Zu Beginn seiner Dienstzeit im Adolfinum sorgte Johannes Zahn dafür, dass die Preußische Provinzialbehörde – die damalige Aufsichtsbehörde für das Schulwesen – das Adolfinum überhaupt erst zu einem humanistischen Gymnasium erhob. Vorher war es viele Jahre lang nur ein sog. Progymnasium, also eine Art höhere Realschule, gewesen.

Das Adolfinum fokussierte nun auf Latein, Altgriechisch und Geschichte. Dies waren auch die Fächer, die Johannes Zahn unterrichtete und bei denen er sich meisterlich und auf hohem wissenschaftlichen Niveau auskannte. Schon als Schüler soll er das Johannes Evangelium von der Lutherübersetzung ins Lateinische übertragen haben. Er sprach, so die Überlieferung ehemaliger Schüler, ebenso gut Latein wie Deutsch und brachte auch Alltagsfragen und vor allem Unterhaltungen, also gesprochene Sprache, in den Lateinunterricht ein.

Seine Oberstufenschüler unterrichtete er im Freien Vortrag, wobei er nicht nur auf die Inhalte und die Sprache, sondern auch auf den Ausdruck, die Sprechweise und die Haltung der Vortragenden achtete. Ein Akademiker sollte die Kunst der öffentlichen Rede beherrschen, war seine Meinung.

Johannes Zahn war geprägt von einem umfassenden, tiefen Glauben und einer durch und durch christlich-evangelisch orientierten Weltsicht. „Den Glauben im Alltag leben und finden“, das war seine Devise. Schließlich stammte er aus einer evangelischen Pastorenfamilie, wobei seine Weltanschauung überaus stark von seinem Vater, Franz Ludwig Zahn geprägt worden war.

Johannes Zahn war aber auch Pädagoge durch und durch und muss seine Schüler regelrecht geliebt haben. Er sprach immer mit Stolz von „seinen Jungens“. Zeichen gegenseitiger Verbundenheit war, dass viele seiner Schüler weit über ihre Schulzeit hinaus Kontakt zum Adolfinum und auch ganz persönlich zu ihm hielten. Dabei wird Johannes Zahn als oftmals knurrig und auch leicht in Zorn geratend beschrieben. Vor allem muss er jedoch die große Gabe besessen haben, anschaulich und fesselnd zu unterrichten und auch schwierigen Lehrstoff interessant zu vermitteln.

Johannes Zahn setzte sich übrigens auch für die Bildung der Mädchen ein, das Adolfinum war selbstverständlich damals allein den Jungen vorbehalten. Er förderte die Gründung einer Höheren Schule für Höhere Töchter, wie es damals hieß, und übernahm auch jahrelang zusätzlich zu seinen sonstigen Aufgaben deren Direktion.

Und woher weiß ich das alles, obwohl ich meinen Urgroßvater gar nicht selbst gekannt und erlebt habe?

Mein Großvater, Hans Zahn, er war übrigens Schüler des Adolfinums von 1885 bis 1895, hat es uns überliefert. Er hat einen umfänglichen Artikel über seinen Vater geschrieben, der in einer Festschrift des Adofinums nachzulesen ist. Er erzählte auch, dass sein Vater regelrecht glühte, wenn er der Jugend etwas vermitteln konnte. Humanismus, christlicher Glaube und – ich nenne es mal seine pädagogische Mission – das waren die bestimmenden Pole von Johannes Zahn, die auch die Ausrichtung und Entwicklung des Adolfinums nachhaltig geprägt haben.

Schule gestern Schule heute – ein Blick auf Probleme und Argumente vergangener Zeiten spiegelt oft überraschend Parallelen zu Fragen unserer Zeit, mag die gesellschaftliche Situation zwischen heute und damals auch sehr unterschiedlich sein.

Johannes Zahn hat sich als einziger der Beteiligten vehement gegen die Pläne einer Verstaatlichung des Adolfinums gewehrt, die dann 1892 doch stattgefunden hat. Widerstand gegen eine öffentliche Trägerschaft kommt einem heute absurd vor, da dies für uns quasi der natürliche Zustand einer Schule ist.

Das Adolfinum brauchte einen Neubau, zu dem es dann auch 1896 kam. Dazu war man auf Preußische Staatfinanzen angewiesen, da weder die Stadt Moers noch die Schule selbst die Baukosten finanzieren konnte. Der Preußische Staat war seinerseits interessiert an einer Vereinheitlichung der Verwaltung und damit auch eines Schulwesens, das gänzlich dem preußischen Bildungsministerium untersteht

Warum wollte nun Johannes Zahn keine Verstaatlichung seiner Schule? Er argumentierte, dass die Verstaatlichung eine übermächtige Bürokratisierung mit sich bringen würde, die von der erzieherischen und fachspezifischen Arbeit mit den Schülern ablenkt und die Schule durch viele zusätzliche administrative Aufgaben belastet. Auch fürchtete er den Verlust der Eigenständigkeit und vor allem der christlichen Ausrichtung des Adolfinums durch starre, allgemeine Vorschriften, was insbesondere das überregional anerkannte, spezifische Profil seiner Schule beeinträchtigen könnte. Er hat sich dennoch in seinen letzten Amtsjahren mit dieser neuen Ordnung arrangieren müssen.

Ob er mit seinen Argumenten die Zukunft richtig eingeschätzt hat oder nicht – das können nur die Adolfiner beurteilen, in erster Linie also die Pädagogen und Schüler, die heute hier lehren und lernen.

Ich hoffe, Sie konnten durch meinen kleinen Beitrag über Johannes Zahn auch ein wenig über das Adolfinum von damals erfahren. Jedenfalls danke ich für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Moers, den 21. September 2012