Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von seinem Sohne Dr. theol. Adolf Zahn

Hagen i.W. und Leipzig
Verlag von Hermann Risel & Co 1882

2. Kapitel ( S.12 – 19)

Der Franzosenkrieg (1806 – 1814)

 

Es nahte nun das merkwürdige Jahr 1806. Die Preußen standen gegen den gewaltigen Napoleon; täglich erwartete man eine Schlacht. Die unglückliche wurde geschlagen. Jena war nur vierzehn Stunden von uns entfernt und wir gingen auf unsere Berge, legten das Ohr an die Erde und hörten den Kanonendonner. Die Preußen flohen, der Sieger verfolgte sie auf allen Wegen und Stegen. Zwei Heereszüge der Franzosen theilten sich; der eine ging über die Saale und Halle nach Magdeburg, der andere durch Thüringen, wohin auch der König geflohen war. Mit einigen Trümmern seines Heeres kam er durch unser Ländchen. Diese suchten seine Flucht zu decken und General Kalkreuth setzte sich bei dem Städtchen Greußen. Es kam zu einem kleinen Gefecht; wir eilten auf die Berge und hörten jetzt nicht blos den Donner der Kanonen, sondern sahen auch in der Nacht ihren Feuerstrahl. Nun erschienen auch flüchtige Verwandte, der Senator Schönemann mit seiner Familie und schilderten das entsetzliche Betragen der Franzosen in Plündern und Gewalt. Der Vater wollte das nicht glauben und tadelte die Flucht der Verwandten. Denn er, auch stark angeweht von den Freiheitsideen in Frankreich, hielt die Franzosen für so aufgeklärte Leute, daß sie dessen nicht fähig wären. Die Nacht verlief ruhig, das Dörfchen lag zu versteckt und die große Heerstraße war entfernt. Auch der andere Tag brachte ungestörte Frühstunden. Ein paar trunkene Preußen stürzten dann durch ́s Dorf. Gegen neun Uhr sahen wir die ersten Franzosen: ungefähr zwölf Mann, die ruhig hindurchziehen wollten. Sie hatten aber in der Mühle einem Bauer sein Pferd mit Gewalt genommen und führten es in ihrer Mitte. Unser Kandidat trat frisch an sie

heran und reklamirte das Pferd. Für einige Thaler gaben sie es zurück. Im Dorfe waren zwei große Güter. Hier versuchten sie einzudringen, allein die Thore waren zu stark und sie zogen fort. Wir glaubten, der Gefahr entronnen zu sein; doch irrten wir uns . Die sorgliche Mutter dachte an das Bergen von Wäsche u. dergl. und packte ein; der Vater aber schalt darüber und blieb bei seinem Satze: Die Franzosen stehlen nicht, es sind aufgeklärte Leute. Nur ein Köfferchen brachte die Mutter auf das Taubenhaus. Um zehn Uhr ließen sich Flintenschüsse vernehmen. Drei Franzosen standen vor dem Thore und begehrten drohend Einlass. Es waren zwei Sappeurs mit langen Bärten, blanken Aexten und einem kleinen Gewehr, der Dritte ein gewöhnlicher Soldat. Der Vater verließ sogleich die Stube öffnete das Thor, und trat ihnen freundlich grüßend entgegen. “Bravo!” erwiderten sie. Er sollte nun eine Erfahrung von den gebildeten Franzosen machen. Sie drängten ihn in ́s Haus, stellten eine Mann mit gefälltem Bajonnet in die Thür des Hauses, damit Niemand entfliehen könne und die beiden anderen trieben den Vater in ́s Wohnzimmer. Der eine zog sein Seitengewehr und setzte es dem Vater auf die Brust, so daß dieser ein Gefühl von der Spitze desselben empfindlich merkte, wobei er schrie: Thalers, Thalers.” Der Vater führte sie zur Kommode, öffnete diese und übergab ihnen einen Beutel mit kleiner Münze, wovon die täglichen Ausgaben bestritten wurden. Diesen warf der Franzose wüthend in die Stube und schrie fort und fort “groß Thalers” und nun drängten sie nach dem oberen Stock, wohin wir Kinder vor den fremden Gästen heulend und schreiend geflüchtet waren. Die Franzosen fanden bald ein kleines Zimmer, wo wir Kinder und die Verwandten voller Angst harrten. Der Herr Senator in seinem schönen Amtsrock fiel ihnen in die Augen: sie beraubten ihn seiner Uhr. Diesen Augenblick benutzte der Vater und wir mit ihm, die Treppe hinabzueilen, um das Haus zu verlassen, allein das Bajonnet der Wache wies uns zurück. Noch höre ich, wie er erschüttert und ganz gebrochen sprach: “ Da geh ́ ich in meine Stube.”. Ich folgte ihm dahin, alle Uebringen zerstreuten sich nach allen Seiten, zum Theil aus den Fenstern springend, wie auch die liebe Mutter. Jetzt öffnete der Vater das Fenster und sprang hinaus, ich ihm nach. Durch ́s Dorf eilend, schrie ich: “Hülfe.” Da begegnete mir der Nachtwächter, ein alter Invalide, der erhob seinen knotigen Stock und rief: ”Mannschaft raus, nach der Pfarre!” Nun eilte ich auf den Hof, um den Onkel zu Hülfe zu rufen: ”Kommen Sie, die Franzosen machen uns todt und nehmen alles!” “Was,” fragte der Onkel, der mächtige Mann, “die Hunde stehlen?” Er griff nach seinem gewaltigen Knotenstock, trat ans Fenster und ließ sein gellendes Pfeiffen ertönen. Alsbald stürzten sein Knechte, Verwalter ect. heraus und bewaffneten sich auf seinen Befehl mit Gabeln und Sensen.

Er stellte sich an ihre Spitze und marschirte das Dorf mit ihnen hinab nach der Pfarre zu seinem bedrängten Schwager. Ich blieb bei der Tante und war nicht Augenzeuge von dem, was ich jetzt, aber treu erzähle. Bei der Pfarre angekommen, stellte der Onkel seine Leute in Schlachtordnung am Eingange des Thores und der Hausthüre auf. Den in der Thüre noch immer postirten Franzosen ergriff er mit starker Faust, entwand ihm das Gewehr, das er einem Knechte überreichte, drang in den oberen Stock, wo die beiden Sappeurs mit dem Einpacken der Kirchengelder u.s.w. zu Ende gekommen waren, faßte sie ebenfalls und stürzte sie zur Treppe hinab und so weiter aus dem Hause, wo sie von seinen Leuten empfangen wurden, die ihnen mit ihren Karsten nicht sanft in den Nacken fuhren und sie tüchtig schüttelten. Währenddeß erschienen vor der Pfarre zwei Franzosen zu Pferde mit Mantelsäcken beladen, die hielten an und als sie ihre Kameraden im Gefecht sahen, nahm der eine sein Doppelgewehr und legte auf den Onkel an, der sich nicht anders zu retten wußte , als daß er den entwaffneten Franzosen ergriff, emporhob und immer der auf ihn gerichteten Flinte entgegenhielt, so daß diese zunächst Jenen getödtet hätte. Ein Knecht griff zu und rlß das Gewehr dem Feinde aus der Hand: Onkel und Franzose waren gerettet. Das Alles geschah in wenigen Augenblicken und man trieb nun diesdrei Franzosen zum Dorfe hinaus. Der Onkel half mit kräftigen Steinwürfen nach, eine Kugel streifte seinen Rock. Die beiden Reiter mußten gleichfalls das Dorf verlassen, man nahm dem einen sein Pferd ab und ritt damit triumpfirend durch ́s Dorf.

Nach dieser Säuberung des Dorfes hörten wir plötzlich ein Getümmel von Kommenden; wir sahen nach den Bergen: hunderte von Franzosen stießen von da in ́s Thal herab. Aller Kampf hörte auf und in wenigen Minuten waren alle Männer verschwunden.
Der arme Nachtwächter, der auf seinem Posten bleiben wollte, erhielt eine gewaltige Kopf- und Backenwunde. Das große Thor zum Hofe des Gutes wurde durch Pferde aufgesprengt. Zu zwanzig und dreißig stürzten sie wie gierige Wölfe in die Gemächer. Man hatte auch hier nur wenig verborgen und sie fanden reiche Beute. Die Tante mit ihren Töchtern und Mägden blieb auf dem Platz, so gefahrvoll es war.

Als gute Hausfrau kannte sie jeden Winkel und schlich den Dieben überall nach. Diese verstanden ihre Arbeit und die gute Tante mußte zusehen, wie sie aus einer Federtonne eine Börse hervorzogen. Sie enthielt in schnönen, blanken Doppellouisd ́or 8000 Thlr. Der Finder hob sie sich empor und schrie: comme ca! Außerdem fanden sie noch 12000 Thaler baar. In jenen Zeiten trieb man nicht so gewaltige Geschäfte mit jedem hundert Thalern, was man einnahm; der Wuchergeist war noch fern und man öffnete nur dann die reichen Kasten, wenn ein Verwandter oder sonst junger, braver Geschäftsmann ein Anleihen nöthig hatte. Diese böse Wirtschaft dauerte so fort bis gegen Abend. An Wäsche, überhaupt an Zeugen blieb nichts übrig. Speise und Trank, in Hülle und Fülle vorhanden, wurden mehr verwüstet als genossen. Der Onkel mußte sich das Alles aus der Ferne mit ansehen, denn er hatte sich in der äußersten Spitze des Daches in einem verborgenen Winkel versteckt. Sein größter Schmerz war, daß seine vierundzwanzig stattlichen Arbeitsrosse, wie er sie nie schöner besessen, aus seinen Ställen abgeführt wurden.

Doch wir kehren zur Pfarre und ihren Bewohnern zurück. Ich, der kleine elfjährige Knabe, hielt mich anfangs zur Tante. Ich hatte mich durch ́s Dorf geschlichen und suchte dem Pfarrhause nahe zu kommen, wagte aber nicht hineinzugehen. Welch ́ eine Verwüstung trat mir da entgegen! Vor dem Hause hielt eine Karre, auf welche sie allerlei luden. Auch den reich vergoldeten, silbernen Abendmahlskelch brachten sie herbei, traten ihn auf den Steinen breit und steckten ihn in einen Sack. Die rebellischen Gänse des Hofes ließen sich aber nicht ohne Widerstand einfangen und entschlüpften bald wieder den räuberischen Händen. Als ich mich nach meiner Mutter umsah, fand ich sie endlich im Gemeindebackhaus, wo eben gebacken wurde. Sie hatte sich als Bauersfrau gekleidet und weil sie etwas vom Backen verstand, schob sie die Kuchen und das Brot ins Feuer, so war sie geschützt, wenn die Franzosen kamen, die von ihr frisches Brot und Kuchen begehrten und stets ein Gelächter erhoben, wenn sie rief: ”es ist noch nicht gar.” Ich schlich wieder durch ́s Dorf und bemerkte einen allmählichen Abzug der Franzosen: es war ja schon alles ausgeplündert. Da trat mit noch einer entgegen, der sehr kümmerlich aussah und visitirte meine Taschen. Er nahm mir die drei Sechser, die ich als mein ganzes Vermögen besaß. Ein früherer Visitor hatte das Wenige mir wieder eingesteckt. Es wurde Abend, aus manchem Schlupfwinkel trat ein Versteckter hervor. Vater und Geschwister aber zeigten sich noch nicht. Das Dorf wurde immer leerer von Franzosen, man lebte wieder auf, als man noch einmal durch die Ankunft jener ersten französischen Reiter erschreckt wurde, welche einen verlorenen Mantelsack requirirten und im Falle seiner Nichtbeschaffung mit Anzünden des Dorfes drohten. Glücklich fand man ihn in einer Scheune. Die Nacht brach herein, das Pfarrhaus sah endlich seine Angehörigen wieder in sich versammelt. Der Vater war erschüttert und ganz still und nun begab man sich in ein ganz kleines Nachbarhäuschen. Ich warf mich auf meine Kniee und legte schluchzend meinen Kopf auf den Schooß des Vaters.Bald schluchzte alles in dem Kämmerlein, wohin die Mutter einige Betten gebracht hatte.

Wie hatten die Franzosen in dem Pfarrhause geplündert! Alle Wäsche und jegliches Kleidungsstück war verschwunden, auch alles werthvolle Metall war mitgenommen. Die Küche bot einen seltenen Anblick dar: Hier hatten die Franzosen ihre alten Lumpen ausgezogen, dabei gekocht und die Schalen von sechs bis acht Schock Eiern, welche sie ausgeschlagen hatten, lagen in großen Haufen da. Die sonstigen reichen Vorräte waren zum Theil wohl zertreten, aber doch noch vorhanden.

In den nächsten Tagen erhielt man nun auch alllmählig Nachricht aus der Nachbarschaft. Die beiden Onkel aus Bliederstedt erschienen in ihrer Knechte Kleider gehüllt, um sich zu verbergen. Ueberall war es älhnlich wie bei uns hergegangen. Sogar Menschen waren ermordet worden. Am nächstfolgenden Sonntag versammelte sich, wehmütig gestimmt, die Gemeinde; auch die Kirchenkleider hatte man dem Vater geraubt und er mußte in einem alten schwarzen Rocke die Kanzel besteigen.