1789 Französische Revolution. 14. Juli Sturm auf die Bastille. Abschaffung der Feudalord- nung, Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Erklärung der Menschenrechte Liberte, Egalite, Fraternite: persönliche Freiheit, Rechtsgleichheit, Weltbürgertum. Symbol: Freiheitsbäume. 1792 Marseillaise. 10. Aug. Erstürmung der Tuilerien, Tod der fast tausendköpfigen Schwei- zergarde. 1793 Hinrichtung von König Ludwig XVI.1796 das franz. Nationalheer wurde un- schlagbar in der Hand von Napoleon Bonaparte (1769-1821). Er wurde 1799 Diktator, 1804 erblicher Kaiser der Franzosen.Napoleon wollte das Alpenland als eine Art Zentralfestung in Besitz nehmen. Seine Revolutionstruppen brachen im Januar 1798 in die Schweiz ein und rückten vom Jura her über die befreite Waadt gegen Bern vor.

Am 14. Febr. 1798 geschah die Mobilmachung von St. gallischen Hilfstruppen zur Verteidi- gung des aristokratischen Bern. Am 17. Febr. brach die 1. Kompanie nach Bern auf, wurde aber in Jegenstorf in der allgemeinen Konfusion unbenutzt gelassen (E 291).
Am 5. März wurden die Franzosen (unter General Brune) bei Neuenegg zwar noch zurück- geworfen, im Grauholz (frz. General Schauenburg) brach die eidgenössische Front aber sogleich zusammen, und die Stadt Bern kapitulierte. Die 2. St. Galler Kompanie war am 19. Febr. losmarschiert, kam aber nur noch bis Bassersdorf. Wie überall machte sich nun auch in St. Gallen Unsicherheit und Unruhe breit. Die Fürstabtei hatte im Februar auf das Fürsten- land (die Alte Landschaft) und das Toggenburg verzichtet, die Stadt gab zufällig am gleichen 5. März das Untertanenland Bürglen frei (E292). Am 14. März traf die St. Galler Kompanie wieder zuhause ein.

Im Auftrag des fliehenden Fürstabtes Pankraz sandte der geistliche Offizial P. Placidus Sta- delmann ein Mandat zur öffentlichen Kanzelverlesung in alle Pfarreien: „Bis anhin sahen wir nur von weitem, wie der rächende Arm des Herrn die grössten Provinzen und mächtigs- ten Reiche Europas nicht verschonte. Die entfernten Gefahr schien uns aber nicht zu rühren, und ob wir gleich nicht geringere Sünden und Laster als andere Völker begangen, glaubten wir doch nicht, dass auch uns eben dieselben Strafen treffen würden. Jetzt aber kömmt der Zorn des Herrn wie ein fürchterliches Ungewitter auch uns immer näher.“ An die Soldaten: „Euch also tapfere liebe Brüder! die ihr bereitet steht, für die heilige Religion und für das Wohl des Vaterlandes zu kämpfen – und zu siegen oder zu sterben – euch ermahnen und bitten wir zuerst: Fanget das grosse Werk mit Gott an – reniget eure Herzen und versöhnet euch mit ihm – stärket euch zum Streite des Herrn durch andachtsvollen Genuss der heiligsten Geheimnisse – dann zieht mit wahrem, christlichen Muthe – und Gott ziehe mit euch.“ Das Mandat endet mit dem Gebet: „Herr, unsere Stärke! unsere Kraft, unsere Zuflucht zur Zeit der Trübsal! zeige unsern und deinen Feinden deine Macht und deine Kraft. Lass sie es erfahren, dass du Allein der Herr unser Gott unser Vater, ein unendlicher Erbarmer bist.“ Duft 26f.

Anna Schlatter – Bernet 1773-1826, „tiefgläubige, sich in Briefen die Finger wundschreibende Frau” S 234ff; Die Zünfte verloren ihre Bedeutung, die Handels- und Gewerbefreiheit wurde eingeführt.

Vom September 1798 bis Mai 1799 hatte die Stadt nun dauernd etwa 500 Mann französische Besatzungstruppen zu unterhalten. Am ehesten waren es jüngere Leute, die sich für die auf- geklärten Anschauungen und farbenfrohen Festlichkeiten begeisterten (E 305).

Ein Augenzeuge war auch Anna Schlatter-Bernet (1773-1826). Bereits 1795 hatte sie ihrem Mann geschrieben:
„In diesen kriegerischen Zeiten freue ich mich besonders, dass du so ein Mann des Friedens bist und mehr Geschmack an der lieben Natur als an Waffen (und) Militär hast”. Schlatters waren zunächst Anhänger der alten Ordnung. Anna fand, man brauche die neue Freiheit nicht, man sei glücklich bei der alten, sie sollten sich die Mühe sparen, uns zu Frankreich zu bekehren. Ich sehe nichts als Verwirrung, aber ich bin dennoch getrost; Gott kann aus dem Chaos eine schöne Welt schaffen.

Als dennoch die Bürgergemeinde am 20. April 1798 die neue Helvetische Verfassung an- nahm, berichtete Anna:
Beinahe alle Männer weinten, diese gute, treue, uneigennützige Obrigkeit verlieren zu müssen. Mein sonst so ruhiger Mann, dem Tränen etwas Seltenes sind, kam schluchzend nach- hause. Anfangs 1799 wurde auch im Haus Schlatter ein französischer Soldat einquartiert. Anna lobt ihn als einen sehr ordentlichen, sittlichen, gewiss guten Menschen, der nicht aus Neigung Soldat geworden ist. Hector unterhielt sich gerne auf französisch mit ihm und gab ihm zum Abschied einen Kuss, während Anna ihm gegen seinen Willen Selbstgefertigtes, ein neues Hemd und neue Strümpfe, einpackte.

Im Mai 1799 zogen sich die Franzosen zurück und die Kaiserlichen rückten ein. Vom Fens- ter aus sah Anna 92 Wagen mit verwundeten französischen Soldaten die Marktgasse hinauf zum Lazarett im Kloster rumpeln. Sie selber ging dauernd hin: Diesen Anblick kann meine Feder nicht beschreiben, und was ich zur Linderung beitragen konnte, war nur ein Tröpflein, mein Herz bricht vor Erbarmen, wie wird Gottes Herz brechen! 1814 ging Napoleons Herrschaft zu Ende. Dazu Anna: „Mit gefällt’s gar nicht, dass in Deutschland auch die Besten so begeistert für den Krieg sind. Auch der gerechteste Krieg ist … eine Plage der Menschheit, ein Kind der Hölle, ist doch nur ein Streit um die irdischen Rechte und Freiheiten eines irdischen Vaterlandes. Unser Vaterland aber ist droben, und das Reich Gottes ist Friede… Es ist mir nicht einleuchtend, dass sie es da in Deutschland einen Kampf Gottes, einen Kampf um die Sache Jesu nennen. ” Marianne Jehle-Wildb erger „Anna Schlatter-Bernet” S. 141-144

Abt Pankraz erhoffte sich aber von Kaiser Franz in Wien konkret auch die militärische Befreiung seiner Stiftslande. Im Rheintal erlitten die Franzosen im „2. Koalitionskrieg” tat- sächlich zwei Niederlagen. Viele im Rheintal verwundete „Franken”, dh. französische Soldaten, gelangten bis nach St. Gallen, die nun in Räumen des leeren Klosters gepflegt wurden. Wer seinen Verletzungen erlag, wurde schnell nackt von einem Karren in eine Grube des Friedhofs Linsebühl gekippt.

Vom Fenster aus sah Anna Schlatter 92 Wagen mit verwundeten französischen Soldaten die Marktgasse hinauf zum Lazarett im Kloster rumpeln. Sie selber ging dauernd hin: Diesen Anblick kann meine Feder nicht beschreiben, und was ich zur Linderung beitragen konnte, war nur ein Tröpflein, mein Herz bricht vor Erbarmen, wie wird Gottes Herz brechen! 1870 fand man im Pfarrhausgarten Linsebühl bei Ausgrabungen die Reste von mind. 44 Personen, die in Haufen durch- und übereinanderlagen, fast alle unter 30 Jahren alte Männer, viele mit Spuren von Amputationen.

1809 wurden in der Stadt 7388 Reformierte und 730 Katholiken gezählt, gesamthaft somit 8118 Personen (E 317). Die Bevölkerung stieg jetzt sprunghaft an, Andersgläubige wurden aber erst in den 1860er Jahren zugelassen. Entscheidend besiegt wurde Napoleon 16.-19. Okt. 1813 in der Völkerschlacht von Leipzig (E 321).

 

Walter Frei (2012)