Vortrag anlässlich des Familientages des Zahn ́schen Familienverbandes in Thüringen St. Johanniskirche zu Wasserthaleben, Samstag, den 25. September 2010 von Sabine Zahn

 

Liebe Verwandte, liebe Freunde der Familie Zahn,

wir befinden uns hier in der St. Johanniskirche, in der von 1710 bis 1857,
also 147 Jahre lang, unsere Vorfahren, die vier Pastoren Zahn, gepredigt haben.
An sie erinnert die Tafel im Eingangsbereich mit der Genealogie der hiesigen Pfarrer.Diese Kirche wurde 1590 erbaut, sie steht aber auf den Grundmauern einer noch viel älteren Kirche aus dem Mittelalter. Für das 18. Jahrhundert sind mehrere Umbauten nachweisbar, dafür waren Johann Michael und später sein Sohn Volkmar Christian Zahn verantwortlich. Johann Gottlieb Zahn, der Enkel von Johann Michael, ließ die kleine Sakristei anbauen. Er war es, der 1843 eine umfassende Innenrenovierung veranlasste. Auch um den Turm muss er sich gekümmert haben, denn als dieser in den 1980ger Jahren restauriert wurde, fand sich in der Turmspitze eine Notiz von ihm, wohl verwahrt in einer Flasche.Um mich jetzt nicht in allzu viele bauhistorische Details zu verlieren, erwähne
ich nur einige wenige Besonderheiten dieser Kirche St.Johannis: Die Rundbogenfenster im Emporengeschoss und im Kirchenschiff an der nördlichen Seite so wie der Inschriftenstein an der Westseite sind noch original erhalten aus der Bausubstanz
von 1590. Der Kanzelaltar, von dem schon unsere Vorfahren sonntags predigten, wurde in dieser Form um 1790, also in der Amtzeit von Volkmar Christian, geschaffen. Er zeigt das Auge Gottes, von einer großen Strahlensonne umgeben. Wir sehen auch ein Kartuschenschild mit den Initialen des damalige Fürsten, Christian Günther von Schwarzburg-Sondershausen. Das älteste Stück der Innenausstattung ist der steinerne Opferstock von 1607. Johann Gottlieb Zahn sorgte schließlich 1845 für den Einbau einer neuen Orgel. Diese wurde inzwischen abermals erneuert, und zwar in jüngster Zeit um 1990. Wir werden morgen ausgiebig Gelegenheit erhalten, dieses Instrument zu hören.Die beiden Grabmäler an der rechten Seite des Kirchenschiffes erinnern an die Vorbesitzer der fürstlichen Gutsanlage, Friedrich Wilhelm Marschall ( gestorben 1665) und seine Gattin, Maria Catharina Maschall (gestorben 1667). Auf der Empore findet sich ein Epitaph für den fürstlichen Amtmann Johann Heinrich von Windheim aus dem Jahr 1734. Hierüber gibt es eine interessante Korrespondenz zwischen dem Schwarzburgischen Fürstenhaus und Johann Michael Zahn, der den festlichen Beerdigungsgottesdienst abgehalten hat.

Nachdem wir uns von der Kirche nun ein etwas genaueres Bild gemacht haben, möchte ich ein paar Worte zu den vier Pastoren Zahn sagen, von denen ich bis vor Kurzem nicht viel mehr wußte als ihre Lebensdaten. Erst durch die Vorbereitungen zu diesem Familientag haben sie begonnen, für mich als Persönlichkeiten Gestalt anzunehmen. Auch konnte ich dadurch erste Vorstellungen von ihren Lebensumständen entwickeln.

Die Gegend, in der wir uns hier befinden, ist Lutherland. Insofern wundert es nicht,
bei unseren Vorfahren eine konsequent lutherische Gesinnung vorzufinden. Sie
stammen – wie so viele lutherische Pastoren der ersten Generationen – aus einer Handwerkerfamilie. Ein gegenüber der Obrigkeit entwickeltes Unabhängigkeitsgefühl, das den Stolz des „Freien Handwerks” spiegelt, findet sich auch im Selbstverständnis dieser Pastoren. In den Unterlagen, die ich in verschiedenen Archiven gefunden habe,
tritt deutlich zu Tage, dass unsere Vorfahren im Grunde mehr Landwirte als Theologen waren: Männer des praktischen Lebens, die unter der Woche ihren Pfarrhof betrieben und nur sonntags zum Gottesdienst und bei anderen kirchlichen Gelegenheiten den Talar anlegten. Auch dies entsprach einem der Aufklärung verpflichteten Lutheranertum.

Es finden sich zahlreiche Dokumente die sich auf landwirtschaftliche Aktivitäten beziehen. “Klage gegen Pfarrer Zahn”, gemeint ist Johann Gottlieb, “ wegen Aushebens eines Wassergrabens”, ist dafür nur ein Beispiel.

Doch wenden wir uns zunächst einmal Johann Michael zu, dem ersten Pfarrer der Familie Zahn in Wasserthaleben. Man muss ihn sich wohl als wahren „Barockmenschen“ vorstellen. Seine „Sinnesfreude” zeigt sich schon in der reichen Kinderzahl: 14 Kinder von insgesamt vier Ehefrauen sind in unseren Familienunterlagen belegt. Jetzt habe ich Dokumente gefunden, die eine recht komplizierte Erbauseinandersetzung zum Inhalt haben. Offenbar gab es noch mindestens eine weitere Ehefrau und auch zahlreiche weitere Kinder. In seinen letzten Lebensjahren, die Johann Michael als Kirchen- und Schulinspektor in Gehren verbrachte, begann bereits eine Auseinandersetzung um die Verteilung seines Vermögens. Nach seinem Tod wurde er in Gehren begraben. Kurz darauf zog die Verwaltung sein Vermögen ein, weil sich die vielen Kinder aus den unterschiedlichen Ehen offenbar nicht über das Erbe einigen konnten. Die Frauen damals starben oftmals früh, was nicht weiter verwundert angesichts der erwähnten Kinderzahl. Elisabeth, die erste Frau von Johann Michael, ist dafür ein Beispiel: sie heiratete ihn im Jahre 1706, bekam fünf Kinder, unter anderem Volkmar Christian, und starb bereits 1715.

Um sich in vergangene Zeiten hinein zu versetzen hilft manchmal, ein Vergleich mit berühmten Persönlichkeiten aus der Geschichte. Mir fallen gleich zwei Beispiele aus dem Musikbereich ein: Johann Michael Zahn war 14 Jahre älter als Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach. Beide Komponisten wurden 1685 in Halle bzw. in Eisenach geboren, also gar nicht weit von hier entfernt. 1724, Johann Michael war bereits 14 Jahre lang Pfarrer in Wasserthaleben, entstand in Leipzig die „Johannespassion“ von Bach. 1741, also wenige Jahre vor seinem Tod, erklang in London erstmals der „Messias” von Händel.

Über Volkmar Christian kann ich im Moment noch nicht viel Konkretes berichten. Ich habe aber ein Aktenkonvolut mit seiner Korrespondenz gefunden, welches mir seit Kurzem in Kopie vorliegt.

Dies muss erst gesichtet und auch entziffert werden. Nicht nur das Altdeutsche, sondern auch seine – fast möchte ich sagen – typisch Zahn ́sche – Krypto-Schfrift – stellen hier große Anforderung an den Transkriptor oder die Transkriptorin.

Johann Gottlieb Zahn ist der einzige dieser Vorfahren, von dem wir ein Bildnis besitzen. Viele von euch werden das Ölgemälde kennen, welches ihn im Talar mit Bibel und vorgestrecktem Zeigefinger darstellt. Das Original hat sich lange Zeit im Besitz von Friedel Zahn befunden. Vor kurzem wurde das Originalgemälde an Philipp Zahn ( Sen.) weiter gegeben. Eine Kopie dieses Gemäldes hing im Speisezimmer meines Elternhauses in Hamburg. Ich habe mir Johann Gottlieb damals immer als jemanden vorgestellt, der zu jeder Lebenslage einen Bibelspruch parat hat und eher mit seinem Gott als mit seinen Mitmenschen im Dialog steht. Diese Einschätzung ist völlig falsch, wie ich jetzt weiß. Er war ein aufgeklärter, praktisch orientierter Mann, den ich mir jetzt viel eher beim Ausheben eines Wassergrabens als etwa im Disput über verschiedene Bibelauslegungen vorstellen kann. Er hat, wie sein Sohn Friedrich August berichtet,

Mit „eisernem Willen und konsequenter Gestaltungskraft” über viele Jahre seine Gemeinde und seine Familie geführt. Er ist der Vater von „unserem” Franz Ludwig und 12 weiteren Geschwistern, die uns während des Familientages in Thüringen immer wieder begegnen.

Soeben bekamen wir die Gelegenheit, eine Passage aus den „Jugenderinnerungen” von Adolph Zahn zu hören, die Hans Zahn aus seinem reichhaltigen Familienarchiv sehr passend für diese Gelegenheit ausgewählt und so eindrücklich vorgetragen hat. Auch hier trat uns Johann Gottlieb, der Vater von Adolph, sehr lebendig entgegen

bis hin zu seinem Sprung aus dem Fenster, im Jahr 1806 auf der Flucht von den in Wasserthaleben marodierenden Franzosen. Dieser Adoph Zahn war es im Übrigen auch, der einige seiner jüngeren Geschwister, u.a. auch Franz Ludwig, in die „Erweckungsbewegung” hinein gebracht hat. Er kehrte nach seinem Studium der Theologie noch einmal nach Wasserthaleben zurück, um seine jüngeren Geschwister
zu unterrichten, denn der hiesige Lehrer war gestorben. Adolph hat damals durch
seine enthusiastischen „Bibelstunden”, bei denen stundenlang gebetet und auf ekstatische Gottesbegegnungen gewartet wurde, einen regelrechten Skandal ausgelöst. Nicht nur der Vater war erbost über das aus seiner Sicht „gottlose Treiben”,
sondern auch die Obrigkeit. Adolph wurde des Landes verwiesen, zum Glück hieß
das damals nur aus dem Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen.

Die Fortpflanzungsfreudigkeit hatte Johann Gottlieb offenbar von seinem Großvater geerbt und sie auch an seine Kinder weiter gegeben. Wir Nachfahren sollten dafür dankbar sein, denn ohne diese gäbe es uns vermutlich gar nicht, zumindest nicht in so großer Zahl. Zur der Generation von Adolph und Franz Ludwig gehören auch Gustav Adolf und Johanna, von deren abenteuerlichen Reisen nach Süd Afrika wir gestern so viel erfahren haben. Diese Generation machte sich nach den vielen Jahren der Sesshaftigkeit der Zahns in Wasserthaleben auf in alle Welt, möchte man fast sagen.

Nur einer blieb, der jüngste Sohn Friedrich August. Er studierte Theologie und kam zunächst als Kandidat und Substitut seines Vaters nach Wasserthaleben zurück. 1845 folgte er Johann Gottlieb als Pfarrer in dieses Amt.

In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Verbindung zum Fürstenhaus intensiviert. Günther-Friedrich Carl I., Regent ab 1795, hielt zwischen 1815 und 1830 jährlich einige Monate Hof in der fürstlichen Gutsanlage. Während dieser Zeit wurde das Herrenhaus erbaut, welches wir später sehen werden, auch wurde das Haus des Domänenpächters erweitert für die Wohnräume der Jagdgesellschaft des Fürsten. Ob und in wie weit es bei diesen Besuchen eine Rolle spielte, dass der Fürst lieber mit seiner Mätresse den Sommer verbrachte als mit Fürstin Caroline, darüber kann nur

gemutmaßt werden. Jedenfalls mussten oder vielmehr durften die Kinder von Johann Gottlieb Zahn mit den fürstlichen Kindern spielen, die ihren Vater offenbar zur Jagd begleiteten. Auf diese Weise entstanden persönliche Beziehungen zwischen der nachfolgenden Generation der Fürstenfamile und der Zahns.

Die fürstliche Gutsanlage war übrigens an einen sog. “Domänenpächter” verpachtet, über viele Jahrhunderte der wichtigste Arbeitgeber für die Wasserthalebener Bevölkerung. Dieser Domänenpächter hieß zu Johann Gottliebs Zeiten Johann Christian Böttcher. Er war verheiratet mit der älteren Schwester von Johann Gottlieb, sie hieß Johanna Christina Wilhelmina Böttcher, geb. Zahn. Diese beiden wurden in der Passage der „Jugenderinnerungen”, die wir soeben gehört haben, als „Tante“ und „Onkel“ erwähnt. Johanna Christina Wilhelmina Böttcher geb. Zahn stiftete dieser Gemeinde übrigens einen silbernen Kelch, der auch ihre Widmung trägt. Besonders freut es mich, dass wir heute direkte Nachfahren von Johanna Christina Wilhelmina und Johann Christian Böttcher begrüßen können. Martin Kratzsch und seine Familie haben von unserem Familientag erfahren und sich sogleich zur Teilnahme entschlossen.

In der Sakristei befinden sich im Übrigen mehrere wertvolle Kelche, die von verschiedenen Mitgliedern unserer Familie gestiftet wurden. Ein Taufkelch trägt die Inschrift „Caroline Mandel” als Hinweis auf die Stifterin. Caroline war eine weitere Schwester von Franz Ludwig, die einen Rittergutsbesitzer aus Schlesien heiratete.

Es findet sich dort auch ein Taufgefäß, das Jürgen Zahn, der ältere Bruder unseres Familienverbands-Vorsitzenden Hans Zahn, der St. Johannisgemeinde gestiftet hat. Jürgen hat sich Mitte der 1980ger Jahre sehr um eine Renovierung, insbesondere des Kirchturms, bemüht und damals auch eine Sammlung unter den Mitgliedern

unseres Familienverbandes initiiert. Trotz der erschwerten Reise- und Kommunikationsbedingungen in Zeiten der DDR hat Jürgen Zahn wichtige Informationen über unsere Vorfahren zusammengetragen und eine regelrechte Forschungsarbeit begonnen. Ebenso wichtig war es aber, dass Jürgen herzliche Freundschaften mit der damaligen Pastorin, Hanna Kelpin, und auch mit einigen Gemeindemitgliedern geschlossen hat. Auch verdanken wir Jürgen Kontakte zu Nachfahren von Johann Gottlieb und seinen Kindern, die ihr Leben in Thüringen bzw, Sachsen verbracht haben. Ohne Jürgen wären wir vermutlich nicht auf die Idee gekommen, den Familientag in Thüringen abzuhalten. Ich möchte ihm an dieser Stelle danken für alles, womit Jürgen uns bei den Vorbereitungen unseres Familientages geholfen hat.

Doch nun zurück ins 19. Jahrhundert, genauer gesagt zu Friedrich August Zahn. Der nächste Regent, Günther Friedrich Carl II, holte Friedrich August 1857 nach Sondershausen, in seine Residenzstadt. Dort ernannte er ihn zum Hofprediger, wenig später zum Superintendenten. Wir konnten heute sein Foto in der Kirche St. Trinitatis betrachten.

Insbesondere die mildtätige und kunstsinnige Fürstin Mathilde hatte eine intensive Verbindung zu Friedrich August Zahn. Sie wollte das „wahre Luthertum “ rekonstituieren und da fand sie in Friedrich August grade den rechten Mann dazu.Friedrich August selbst hatte den Eindruck, ein recht rückständiges, provinzielles Leben zu führen, zumindest während seiner Zeit in Wasserthaleben. Er beschreibt anlässlich eines Besuchs in Moers bei seinem Bruder Franz Ludwig dessen „weltläufiges, großes Haus” im Gegensatz zu seinem dörflich-biederen Leben. Friedrich August war durchdrungen vom Geiste Pestalozzis, wie es so schön heißt. Während seines Studiums in Bonn lernte er die Familie Diesterweg näher kennen, mit der auch seine Brüder Adolph und Franz Ludwig verbunden waren. Es ist sicher vielen von Euch bekannt, dass Friedrich Adolph Diesterweg das Moerser Lehrerseminar gründete und Franz Ludwig ihm als Leiter in dieses Amt folgte. Friedrich August Zahn heiratete Selma, die Nichte dieses Pädagogen Diesterweg. Selmas Vater lehrte damals als international gefeierter Mathemathikprofessor in Bonn. Leider starb sie schon recht früh im Kindbett. Selma liegt zusammen mit dem Kind, das nur wenige Tage später starb, auf dem Kirchhof in Wasserthaleben hinter der St. Johanniskirche begraben.Friedrich August wird als ein sehr besonnener Mann mit viel Einfühlungsvermögen – damals nannte man das „mit viel Psychologie” – beschrieben. Er wurde alsoberster Kirchenmann des Landes bei vielen Konflikten und auch als Berater in politischen Fragen herangezogen. Man schätzte seine scharfe Urteilskraft.
Er muss auch ein hochbegabter Redner gewesen sein, der mit Ernst, Tiefe und Begeisterung zu predigen wusste. Dabei ging es ihm weniger um die dogmatische Glaubenslehre als vielmehr um ein praktisch gelebtes, im Inneren gefühltes Christentum. Wir erfahren vieles über ihn aus Briefen und auch aus den Nachrufen, die nach seinem Tod 1886 in mehreren Zeitungen erschienen. Er erhielt übrigens ein Staatsbegräbnis und ein Ehrengrab in Sondershausen,welches leider heute nicht mehr erhalten ist.Zum Schluss möchte ich noch einige wenige Wort über den Friedhof hinter der
St. Johanniskirche sagen, den wir gleich begehen werden. Dort liegen von den Wasserthalebener Pastoren unserer Familie Volkmar Christian und Johann Gottlieb Zahn begraben, mit ihnen ihre Ehefrauen und viele ihrer Kinder, Schwiegerkinder und Enkel. Insgesamt fand ich allein schon beim Studium der mir bisher zugänglichen Unterlagen insgesamt sicher 50 unserer Vorfahren, deren Beerdigung auf diesem Kirchhof erwähnt ist. Teilweise haben sich die Nachfahren der Zahn-Pastoren noch bis in die 3. Generation hier beerdigen lassen. Auf diesem Kirchhof der St. Johanniskirche zu Wasserthalben stehen wir also buchstäblich auf dem Boden unserer Ahnen.Wasserthaleben wurde über Generationen hinweg als Ursprung und Heimat
der Familie Zahn betrachtet. Durch unseren Familientag 2010 könnte es vielleicht gelingen, dieses Bewußtsein für unsere heutigen Generationen wach zu halten und an künftige Zahn-Nachkommen weiter zu geben.